Illusion des Jahres 2016: "Rechtecke oder Kreise?"
Seit dem Jahr 2005 ehrt die Neural Correlate Society die beste optische Illusion des Jahres (illusion of the year). In diesem Jahr erregt der Zweitplatzierte noch mehr Aufsehen als der Sieger. Es handelt sich um eine ebenso einfach wie verblüffende Illusion des Japaners Kokichi Sugihara. Vor den erläuternden Hinweisen zunächst das Video, dass diese Illusion vorführt:
Der Aufbau ist sehr simpel: es handelt sich um verschiedene Körper, die vor einen Spiegel gestellt werden. Nur merkwürdigerweise sehen sie im Spiegel ganz anders aus?
Der Lösung auf der Spur ...
Nähern wir uns dem Phänomen, indem wir zwei Standbilder des Videos herausnehmen. Das erste zeigt eine langgezogene Gitterform mit quadratischen Öffnungen. Sieht eindeutig eckig aus. Aber das Spiegelbild zeigt eine Figur, die aus sechs Zylindern besteht, jeweils mit kreisrunder Öffnung oben.
Dann wird die Figur umgedreht. Plötzlich ändert sich alles ...
Nun zeigt die vordere Figur - es ist ja dieselbe, die nur um 180° gedreht wurde - die zylinderförmige Struktur. Stattdessen ist nun das Spiegelbild ecking.
Erklärung dieser optischen Illusion
Wie funktioniert das nun? Zunächst einmal: wie bei vielen anderen optischen Illusionen gibt es nur einen optimalen Betrachter-Standpunkt. Wechselt man den Standpunkt und damit die Perspektive, so verändert sich etwas, was die optische Illusion auflöst. (Siehe hierzu zum Beispiel auch die Optische Täuschung mit der Mauer, die kürzlich viral ging.)
Wenn man aus dem Video genau das Standbild extrahiert, in dem die Figur 90° gedreht ist, erschließt sich, was hier passiert:
Man erkennt, dass die Oberkante der Figur gar nicht senkrecht verläuft. Außerdem offenbar die Unterkante der Figur einige interessante Details. Man kann daraus schließen, dass die Grundform des "rechteckigen Zylinders" eigentlich eine Quader mit abgerundeten Eckkanten ist:
(Blick-) Winkel
Diese Figur wird nun im Video aus zwei verschiedenen Winkeln gezeigt: Zum einen direkt, zum anderen im Spiegel.
Aus der Grafik wird deutlich, dass diese optische Illusion nur dann funktioniert, wenn der Winkel auf die Figur als auch der Winkel auf das Spiegelbild der Figur identisch sind. Wenn das so ist, kann man die Figur einfach um 180° wenden, so dass sich quasi das umgekehrte Bild ergibt.
Wellenförmige Oberkante
Auf dieser Basis muss nun der abgerundete Quader so bearbeitet werden. Daher hat die obere Kante mehrere wellenartige Schwünge. Die folgende Grafik skizziert den (ungefähren) Kantenverlauf einer Form (von der es sechs gibt):
Die Oberkante kann so optimiert werden, dass sie aus einem Winkel wie ein Kreis wirkt und aus einem anderen wie ein Quadrat.
Problem Unterkante
Kokichi Sugihara hatte allerdings mit der Unterkante ein Problem: Die runde Seite ist im Grunde nicht so schwierig - aber die gerade Kante. Damit dieser Eindruck der eckigen Quader auch stimmt, musste er die vordere Ecke anheben, also optisch verkürzen. Man sieht das im Video ganz gut an dem Schatten bzw. Licht, dass sich unterhalb der eckigen Figur zeigt:
Aus diesem Grund werden im Video auch nur "kombinierte Figuren" gezeigt, niemals ein einzelner Quader oder Zylinder. Er würde schlicht und einfach umfallen.
Ein wirklich beeindruckende Illusion. Nicht nur clever erdacht - die Idee mit den zwei Perspektiven mit Hilfe eines Spiegels -, sondern vor allem auch hervorragend handwerklich umgesetzt. Denn was hier in den Grafiken nur grob beschrieben wird, ist im Detail umglaubliche Feinarbeit. Die Formen müssen auf den zehntel Millimeter genau stimmen, sonst würde der Eindruck fehlerhaft sein.
Gewinner 2010: Kokichi Sugihara
Bereits im Jahr 2010 hat Kokichi Sugiharas den Preis "Illusion des Jahres" mit diesem Aufbau gewonnen:
Gewinner 2016
Der diesjährige Gewinner ist dieses Video (Titel: Motion Integration Unleashed New Tricks for an Old Dog):
Grafiken unter CC-BY-SA Lizenz
Die Grafiken dieser Seite stehen unter CreativeCommons-Lizenz CC-BY-SA. (Was bedeutet CreativeCommons?)